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Zwischen Leidenschaft und Notwendigkeit

Mit etwas Glück sollte jetzt ein Wildtier vors Visier kommen, aufgeschreckt vom Stöberhund, der es vor sich hertreibt. Aber offenbar schlägt das Wild einen Haken – das Hundebellen dreht ab, ist jetzt seitlich zu hören, irgendwo am Waldsaum hinter der Lichtung. Und schon knallt es von dort her. Einmal, zweimal, dreimal. "Das muss eine Wildschweinrotte sein, die zieht an der Schützenkette lang" sagt Nietner und lehnt sein Gewehr vorerst wieder in die Nische seines Hochstandes. Nietner ist einer von 105 Jägern, die das Forstamt Oldisleben zu dieser Dezemberjagd geladen hat.

Warnfarbe statt Tarnfarbe

Ein illustrer Anblick war das, zwei Stunden vorher am Kammerforst Burgwenden: Mehr als 100 Grünröcke, die heute besser Orangeröcke heißen sollten. Denn alle sind grell drapiert mit Hutbändern, Schärpen oder Warnwesten, manche tragen signalfarben leuchtende Pudelmützen. Sicherheit ist das oberste Gebot bei der Jagd, und bei der Einweisung der Jäger ist die Belehrung der erste Punkt. Sicherheit ist auch einer der Gründe, warum das Forstamt Oldisleben zu dieser "Ansitz-Drückejagd mit Stöberhunden" geladen hat. Es gibt bei dieser Jagdform keine menschlichen Treiber. Diesen Part übernehmen Hunde, meist Deutsche Bracken. Sie "drücken" das Wild aus den Dickungen, heften sich auf die Fährte, können es aber mit ihren kurzen Beinen kaum erreichen. So treiben sie es bellend vor sich her und sind Aufscheucher, Signalgeber und Richtungsweiser für die auf den Hochständen wartenden Jäger. "Wir haben knapp 40 Hunde heute im Einsatz – vielen Dank an die Hundeführer fürs Kommen. Sie gehen dann nach Einweisung durch die Gruppenführer zu Ihren Ansitzen – und Punkt zehn beginnt dann die Jagd und dauert bis eins." Forstamtsleiter Klüßendorf macht klare Ansagen. Er wirkt verbindlich, macht bei allem Ernst auch mal einen Scherz in Richtung der Gäste aus Norwegen und Luxemburg.  Die Hohe Schrecke ist ein beliebtes Jagdgebiet, und Klüßendorf kann es nur recht sein, wenn neben den Einheimischen auch zahlende Gäste an der Jagd teilnehmen – vor allem auch wegen der Hunde, die in ausreichender Zahl zusammenkommen müssen, um ein Gebiet von 850 Hektar effizient zu bejagen.


Wenig Störung, viel Effekt

Wie effizient die Methode ist, bekommt Wolfram Nietner auf seinem Ansitz zu spüren. Kurz nach dem ersten Auftauchen eines Stöberhundes ziehen unvermittelt drei Rehe am Hochstand vorbei. Ziemlich weit weg, ziemlich schnell. "Die kann ich nicht ansprechen", sagt Nietner und greift gar nicht erst zum Gewehr. Bei dem Tempo und der Entfernung lassen sich Geschlecht und Alter nicht bestimmen – und an einen sauberen Treffer ist schon gar nicht zu denken. Ringsum ist nun das Knallen der Gewehre zu hören. "Jagdgeläut" sagt Nietner, der im bürgerlichen Leben Professor für Gynäkologie war. Die Jagdleidenschaft hat der aus Thüringen stammende Nietner aus dem Elternhaus mitbekommen. Und seit er Rentner ist, widmet er sich sehr viel seinem Hobby. Gestern erst, so erzählt er, sei ihm Jagdgöttin Diana hold gewesen – bei Eisenach hat er einen Keiler und einen Hirsch erlegt. Gerade kommt der 68jährige, agile Rentner – leise tuschelnd – ins Schwärmen von seinen Jagdabenteuern in Kasachstan und Alaska, da taucht wieder eine Rotte Sauen im hohen gelben Gras auf. Eine Bache und sechs oder sieben nachfolgende Schwarzkittel. Sie kommen schnell näher. Behend greift der Jäger sein Gewehr und zielt. Der Schuss kracht in dem Moment, als die Schweine in einem nahen Dickicht zu verschwinden drohen. Und dann noch ein Nachschuss. Getroffen? "Es hat einen Satz nach oben getan – aber sicher bin ich nicht." Anders als für Wolfram Nietner ist für Uli Klüßendorf die Jagd kein Hobby, sondern Bestandteil seines Berufes. Der Forstmann sieht vor allem die Notwendigkeit der Wildbestandsregulierung – Trophäen und Traditionen interessieren ihn nur am Rande. Für die Ansitz-Drückejagd  mit Stöberhunden, so erklärte er am Anfang der Jagd, spreche neben der Sicherheit auch die Effizienz. "Man hat ein- oder zweimal in der Saison eine große Störung, und ansonsten kann man das Gebiet ruhig halten." Das sei, so sagt Klüßendorf, für das Wild besser, als ein ständiger Jagddruck und permanente Beunruhigung durch einzelne Jäger. Und vor allem bringt die Methode hohe Abschusszahlen.


Waidmanns Heil!


Die drei Stunden auf dem Ansitz vergehen schnell – obwohl der starke Wind unter die Kleidung kriecht. Es ist für die Jahreszeit zu mild, kein Vergleich zum Vorjahr, als hier schon halbmeterhoch der Schnee lag und die Jagd verunmöglichte. Vermutlich haben ausgefallene Jagden in den Vorjahren mit dazu beigetragen, dass sich insbesondere die Wildschweine in der Hohen Schrecke so massiv vermehrt haben. Sicher ist, dass es derzeit in ganz Thüringen ein Überangebot von Eicheln und Bucheckern gibt. Und dann kommt noch der Maisanbau in der Umgebung dazu – die Nahrungsfülle und der Energiereichtum wirken sich unmittelbar auf die Reproduktionsrate der Schweine aus. Aus Sicht der Landwirtschaft ist die Jagd nötig, um die Wildschäden möglichst gering zu halten. Und auch der Forst hat ein Interesse an der Wildreduktion, weil sonst die angestrebte Naturverjüngung zum Beispiel der Eiche keine Chance hat – zu viele Schweine sind der Sprösslinge Tod. Als es 13 Uhr ist, macht sich Wolfram Nietner auf die Suche nach dem möglicherweise getroffenen Schwein. Er findet es im Unterholz wenige Meter von der Abschussstelle entfernt. Der erste Schuss traf den Kiefer, der zweite das Herz. Inzwischen ist auch der Gruppenführer vor Ort und fragt, ob eine Nachsuche mit Schweißhunden notwendig sei – Nietner kann verneinen.  Er legt die Joppe ab und krempelt die Ärmel seines Hemdes hoch. Zur waidgerechten Jagd gehört das Aufbrechen der Beute. Mit geschickten Handgriffen öffnet er die Bauchdecke und entnimmt dem etwa viermonatigen Keiler die Eingeweide. Die Leber wird in einen Gefrierbeutel gepackt – traditionell sind die inneren Organe die Beute des Jägers. Mit einem Strick schleift er den Kadaver zum Weg und zum Fahrzeug – um anschließend seinen Jagdkameraden beim Aufbrechen ihrer Beute zu helfen. An einem der benachbarten Hochsitze hat einer sieben Schweine getroffen, der Rekord an diesem Tag liegt bei neun Abschüssen.


Waidmanns Dank!


Es dauert mehr als zwei Stunden, bis mehrere voll beladene Lieferwagen beund entladen sind und die Jagd im wörtlichen Sinne abgeblasen wird. Traditionell geschieht das mit dem Auslegen der Strecke und dem "Verblasen". Die Waldhörner schallen am "Stern", einer markanten Wegkreuzung, an der die toten Tiere in Reih und Glied abgelegt sind. Nebenan dampft der Gulaschkessel, die Männer und Frauen wärmen sich mit Tee, Kaffee und Bier. Uli Klüßendorf gratuliert den erfolgreichen Jägern, jedem mit Handschlag. Er kann an diesem Tag aus forstlicher Sicht ein positives Fazit ziehen: Mehr als 80 geschossene Wildschweine, dazu mehr als ein Dutzend Rehe und drei Hirsche – eine solche Strecke bekommen selbst erfahre Jäger nicht alle Tage zu sehen. "Das zeigt, wie viel Wild wir hier momentan haben" sagt er. Dann wird die Wildwaage aufgebaut, der Wildbrethändler kommt. Und während die meisten Jäger in der hereinbrechenden Dunkelheit ihrer Wege ziehen, hat das Team vom Forst mit der Nachbereitung der Jagd zu tun. Das dauert eine Weile, bei so einer Strecke.

 
Projekt Hängebrücke

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